In Zeiten, in denen Festivals oft austauschbar wirken, bleibt das Electrisize echt, eigen und regional verwurzelt. Gerade deshalb fällt es auf – positiv. Denn manchmal sind es nicht die größten Namen, sondern die ehrlichsten Konzepte, die am längsten bleiben.
Warum Electrisize mehr ist als nur ein Festival
Das Electrisize in Erkelenz bei Düsseldorf findet dieses Jahr zum 16. Mal statt. Das Team rund um Michael Frentzen und Raphael Meyersieck ist auch deswegen so erfolgreich, weil hier gegen den Strom geschwommen wird und wirklich eigene Konzepte gefahren werden. Heißt: Klar schauen die Veranstalter auch, was deutschlandweit passiert, aber sie haben früh erkannt, dass sie vor allem regional stark sind, weil sie die Bedürfnisse ihrer Besucher kennen und genau darauf ALLES! ausgelegt ist.
Ich komme selbst aus der Region. In meiner Jugend gab es hier, auch mit der Nähe zu Belgien und den Niederlanden, so viele Clubs, Festivals, Veranstaltungen. Die Auswahl war so wahnsinnig groß. Wie in jeder Region wurde es auch hier mit den Jahren weniger. In dem Fall hat es mich aber besonders getroffen, weil bei allen Festivals, die ich in den vergangenen Jahren besuchen durfte, die in der Heimat natürlich immer einen ganz besonderen Stellenwert haben. Für jeden irgendwie oder? Umso mehr freut es mich, dass das Electrisize, als eines der ganz wenigen, geblieben ist. Und das hat gute Gründe!

Wie Electrisize gewachsen ist – ohne sich zu verbiegen
Angefangen hat alles 2009 mit 400 Besuchern, 7 Artists und einer Stage. Vergangenes Jahr waren es 45.000 Besucher, 120 Artists und 5 Stages.
Das Festival ist langsam gewachsen. Seit 2016 sind jedes Jahr etwa 5000 Besucher dazugekommen, aber ohne Druck und immer mit dem Ziel, dass auf dem Weg Besucher der ersten Stunde, wie es so schön heißt, nicht verloren gehen dürfen. Klar, Musik dreht sich immer weiter. Was 2009 noch funktioniert hat, ist längst überholt – oder eben nicht? Viele DJs, die damals gespielt haben, spielen noch immer, gleichzeitig erkennt das Festival auch früh, was angesagt ist und welche Acts mal ganz groß werden. Das ist meiner Meinung nach absolut outstanding. (Anmerkung: Das Open Beatz Festival ist in dem Punkt auch wahnsinnig stark, ich beziehe mich als „Kind der Region und Besucherin der ersten Stunde“ aber vor allem auf regionale Events). Als Beispiel ist hier das Avicii-Booking 2010 zu nennen – eine der ersten großen Bühnen, die er in Deutschland jemals gespielt hat. Auch Ski Aggu und FINCH hatte Electrisize noch vor dem großen Hype.
Die Jungs und ihr Team hatten auch immer ein Gefühl dafür, was in Erkelenz, das eher ländlich gelegen ist, gut funktioniert (oder eben nicht). Mit Aktionen wie dem Heckscheibenfest, bei dem Besucher sich einen Tag lang ihr Auto bekleben lassen können, Besucherumfragen und die ständige Einbindung des Feedbacks sorgen dafür, dass sich die Community nicht nur gehört, sondern auch ernst genommen fühlt. Hier werden Meinungen nicht nur für irgendein Archiv gesammelt oder „weil man das eben so macht“, sondern weil die Wünsche der Besucher bei allen Entscheidungen mit einfließen – so wie es sein muss, genau so müssen Festivals heutzutage sein, am Puls der Zeit, fannah, echt.
Während auf Festivals gleicher Größe inzwischen Acts spielen, die 100.000 € und mehr kosten, bleibt man bei Electrisize realistisch. So verhindert man bei generell gestiegenen Kosten, dass die Ticketpreise nicht zu stark steigen und fair bleiben. Auch das ist stark!
Genau das ist auch der Grund, wieso Isi Glück, Cascada und Calvin Kleinen auf dem Festival genauso stattfinden, wie David Puentez oder Luca-Dante Spadafora – die Mischung machts und genau diese Mischung aus Genres, Persönlichkeiten und Alter passt genau hierhin.
Electrisize will also gar nicht die größten Acts am Start haben, aber genau die, die ihre Community feiert. Viele Festivals setzen zwar inzwischen ebenso auf Multigenre-Festivals, aber manchmal wirkt die Auswahl dann doch willkürlich in meinen Augen.
Nicht nur Musik – sondern Haltung, Herz und Herzensprojekte
Ein anderes Beispiel für Innovation und Fannähe ist übrigens „The Thunder“, der Rockpub – 2024 erstmals am Start und ein echtes Herzensprojekt für die Rock- und Metal-Fans, um (besonders, aber nicht nur) die ältere Zielgruppe zu halten und/oder neu zu gewinnen. Hier geht es nicht nur um Genrevielfalt, sondern auch um kreatives Rahmenprogramm mit Flash Bingo, Frühschoppen mit Met-Empfang und viel Liebe zum Detail – genau solche Aktionen schaffen Vertrauen, das es braucht, um auch in diesen Zeiten, in denen es unzählige Festivals gibt und jeder um jedes Ticket kämpft, bestehen zu können. In der heutigen Zeit wird innerhalb von Sekunden entschieden, spricht das Festival mich an oder nicht. Gerade durch Social Media sehen wir jeden Tag so viele Festivals und Veranstaltungen generell. Ich hab’ manchmal das Gefühl, dass alles irgendwie gleich aussieht. Die Nuancen sind manchmal wirklich so minimal. Alles, was nur irgendwie überrascht, bleibt im Kopf und beeinflusst dann eben auch die Entscheidung, für welches Festival ein Ticket gekauft wird.
Aprospos „überrascht“: Als Founderin des besten und größten deutschen Musikmagazins (😉) hat mich das hauseigene Magazin des Festivals, das am 1. April erschienen ist, natürlich etwas überrascht, aber der Inhalt hat auch die größte Musikjournalismus-Skepterin, nämlich mich, absolut abgeholt (könnt ihr hier auschecken: electrisize.de/magazin/).
Also long story short: Das Electrisize Team macht echt einen guten Job und sie haben erkannt, dass Stillstand keine Option ist. Im Gegenteil. Das Team erfindet sich ständig neu, wächst in kleinen Schritten und vergisst dabei nie das Allerwichtigste: seine Fans, seine Besucher der ersten Stunde.
PS: Ob ich hier gerade eine Schleimspur hinterlasse? 🐌 Vielleicht. Aber in Zeiten wie diesen finde ich es wahnsinnig wichtig, dass gute Arbeit auch mal anerkannt wird. An der Festivalbranche wird so oft herumkritisiert (übrigens auch von mir), dass man ruhig mal wertschätzen darf, wenn etwas richtig gut läuft.
In diesem Sinne, auf zum Electrisize 2025!
Fotocredit: Alexander van der Wallen
